Seit 50 Jahren herrscht in Botswana Demokratie und wächst der Wohlstand wie nirgends sonst in Afrika – dank Diamanten und gescheiter Politik. Ein Lehrstück über gutes Regieren.
«Nach Gaborone? Noch nie gehört.» «In Botswana? Ist das ein eigener Staat?» Die Fragen am Check-in-Schalter sind die normale Reaktion in der Schweiz auf ein Land im südlichen Afrika, das so gross ist wie Frankreich und von dem man selten mehr weiss, als dass es dort viele Elefanten gibt und Prinz Harry mit seiner Meghan auf Turtelsafari war.
Im Anflug erinnert Gaborone ein wenig an Las Vegas: im Zentrum eine Ansammlung moderner Glastürme, rundherum Grasland. Auch am Boden gemahnt nur wenig an eine afrikanische Hauptstadt. Alles so ruhig hier, alles so sauber auf den glatten Strassen, kein Menschengewimmel, nicht ein einziger Motorscooter, keine Spur von Verkehrskollaps. Auch offene Märkte gibt es nicht in Gaborone, dafür umso mehr Shopping-Malls, Businessgebäude sowie neue Ein- und Mehrfamilienhausquartiere. Ist hier wirklich Afrika? Eine halbe Stunde ausserhalb der Stadt sieht man mehr Warzenschweine neben als Autos auf der Strasse, doch in Gaborone selber wähnt man sich in einer extraterrestrischen Zone, allerdings einer kleinen. 240 000 Menschen leben in der Hauptstadt, im ganzen Land sind es 2,2 Millionen, die hauptsächlich entlang der Ostgrenze des Landes wohnen.
Noch vor gut 50 Jahren gab es in Gaborone nicht mehr als ein paar hundert Hütten und einen Käfigturm der Briten. Aber noch keinen Staat. Botswana entstand erst 1966, auch eine Hauptstadt musste man erst suchen. Damals zählte Botswana zu den ärmsten Ländern von ganz Afrika, man betrieb etwas Ackerbau und Viehzucht, es gab drei christliche Sekundarschulen und fünf geteerte Strassen, das Bruttosozialprodukt lag bei 70 Dollar pro Kopf.
Wie aus dem Nichts ist dieses Binnenland, das zu 80 Prozent aus Grasland und wüstenartiger Steppe besteht, zu einem der stabilsten und demokratischsten Staaten Afrikas geworden; seit nunmehr 50 Jahren ist Botswana eine friedliche, wirtschaftlich prosperierende Mittelstandsgesellschaft mit funktionierendem Rechtsstaat, einer stabilen Währung, der tiefsten Korruptionsrate und dem höchsten internationalen Kreditrating (A2) aller afrikanischen Länder.
Bleibt die Frage, wie es das geschafft hat.
«Wir sind eben die Schweiz von Afrika», sagte kürzlich Bogolo Kenewendo, die Handels- und Industrieministerin von Botswana, und sie strahlte, während sie die entsprechenden Ratings präsentierte. Das tat sie nicht in Gaborone, sondern in Genf, wohin sie mit Staatspräsident Masisi gereist war, um an einer Unctad-Konferenz internationale Investoren nach Botswana zu locken. Der Präsident lief standesgemäss voraus, doch der heimliche Star war sie, die in der zweiten Reihe durch die Gänge des Palais des Nations federte, gross, schwarzer Hosenanzug, silberne Bluse und kecke Zapfenlocken – Bogolo Kenewendo, seit April die jüngste Ministerin Afrikas.
Obwohl erst 31-jährig, ist die an der Universität Sussex ausgebildete Ökonomin längst global vernetzt. Als Studentin wurde sie von Michelle Obama und Bill Clinton gefördert, in die Politik wurde sie nicht gewählt, sondern vom Präsidenten berufen, zuerst ins Parlament und ein Jahr später in die Regierung. Heute jettet Kenewendo von Konferenz zu Kongress, sie vertritt ihr Land eloquent auf CNN und bei Bloomberg, und sie tauscht sich mit Premierministerin Theresa May aus oder mit Jack Ma, dem Gründer des chinesischen Online-Giganten Alibaba. Ihre Botschaft ist immer die gleiche: «Wir rollen den internationalen Investoren den roten Teppich aus.»
Bogolo Kenewendo ist das neue Gesicht der «Schweiz von Afrika». Sie steht für die Zukunft ihres Landes, und zugleich verkörpert sie seine Geschichte. Aufgewachsen ist sie in einem entlegenen Dorf in der Nähe des Okavango-Deltas, jenes ultimativen Sehnsuchtsorts des Safaritourismus, den die meisten Botswaner nur aus dem Fernsehen kennen. Ihre Eltern, erzählt sie im Gespräch, seien eher ärmlich gewesen, doch die Regierung habe für Gratismedizin gesorgt, für Gratisschulbildung und später für einen freien Studienplatz an der Universität von Botswana in Gaborone – alles mit Steuergeld aus dem Diamantengeschäft finanziert. «Deshalb bin ich ein typisches Diamantenbaby», sagt Kenewendo.
Wer dieses Land verstehen will, der beginnt am besten beim grössten Denkmal mitten in Gaborone, den «Dikgosi». Jene drei schlauen Stammeskönige, die dort in Bronze prangen, sicherten sich 1885 wenigstens die halbe Unabhängigkeit ihres historischen Territoriums, indem sie Schutz bei den Briten gegen die Überfälle von Buren aus dem Süden suchten. So entstand das Protektorat Betschuanaland. Als der mächtige Cecil Rhodes sich 1895 just dieses Land für seine South African Company einverleiben wollte, reisten die drei Chiefs 9000 Kilometer weit nach London und brachten Queen Victoria dazu, das Protektorat zu bekräftigen. Ihr Glück dabei: Grossbritannien wollte zwar die Besetzung durch andere Kolonialmächte verhindern, war selber aber nie sonderlich an diesem Wüstenland interessiert, das keinen Zugang zum Meer hatte und – vermeintlich – auch keine lohnenden Bodenschätze. Deshalb wurde es nie kolonisiert.
Die Lovestory des Jahrhunderts
Nach dem Zweiten Weltkrieg trat dann der Enkel eines dieser Stammeskönige auf die Bühne: Seretse Khama. Er ist noch heute der grosse Nationalheilige, denn für alle ist klar: ohne Khama kein modernes Botswana. Prinz Seretse studierte nach dem Zweiten Weltkrieg Jus in Oxford, als er 1947 eine junge weisse Engländerin an einer Studentenparty kennenlernte, die als Stenotypistin bei Lloyds of London arbeitete: Ruth Williams. Die Beziehung zwischen dem schwarzen Prinzen und der weissen Sekretärin sollte am Ende «eine der grossen Lovestorys des 20. Jahrhunderts» werden, wie der damalige Präsident Tansanias Julius Nyerere nach Seretses Tod 1980 sagte; 2016 schaffte es die Geschichte sogar in die Kinos («A United Kingdom»).Doch am Anfang war es eine unmögliche Liebe. Alle sträubten sich mit allem gegen diese Ehe, Seretses Stamm in Betschuanaland, Ruths Eltern in London, die anglikanische Kirche – und erst recht die Politik. Die beiden heirateten trotzdem. Churchill nannte die Ehe «mutig», doch umso schärfer protestierte die südafrikanische Apartheid-Regierung gegen das «gemischtrassige» Paar, und die amtierende Labour-Regierung in London verbot schliesslich dem Prinzen die gemeinsame Rückkehr ins Protektorat. Erst nachdem er seine Ansprüche als Stammeskönig aufgegeben hatte, durfte das inzwischen weltbekannte Paar 1956 sein Exil in London verlassen.
In Betschuanaland nahm das wahre Märchen seinen Fortgang. Nach anfänglichen Reserven genossen Seretse und Ruth bald grosse Sympathien. Der charismatische Prinz, der keiner mehr war, gründete eine politische Partei und wurde 1966, im Jahr der Unabhängigkeit, Botswanas erster Staatspräsident, seine zupackende Ruth die erste First Lady. Sie wählten das Zebra als Schildhalter des neuen Landeswappens – ein Ausdruck natürlicher Harmonie zwischen Schwarz und Weiss. Und ein leuchtendes Gegenbeispiel zur rundherum herrschenden Apartheid. «Wir kennen keine Rassen», pflegte Khama zu sagen, und sein Credo strahlt bis in die regierungsamtliche «Vision für das Jahr 2036» aus, gemäss der «Botswana eine moralische, tolerante, inklusive Gesellschaft mit Möglichkeiten für alle sein wird».
Tatsächlich ist Botswana seit mehr als 100 Jahren eine relative Insel des Friedens im südlichen Afrika, weshalb die junge Ministerin Kenewendo gerne sagt, die Schweiz sei «auch ein bisschen das Botswana von Europa». Es blieb jedenfalls kaum tangiert von den jahrelangen Unruhen und Bürgerkriegen seiner grossen Nachbarn im Süden (Südafrika), Osten (Simbabwe), Westen (Namibia) und im Norden (Angola), obwohl Botswana in den ersten Jahren nicht einmal eine Armee zum Schutz seiner Grenzen hatte. Unterdessen hat es eine, aber keine mit Gripen, denn auch Botswana hat die schwedischen Kampfflugzeuge, die schon die Schweiz nicht haben wollte, vor kurzem wieder abbestellt. Zu teuer.
1967, ein Jahr nach der Staatsgründung, stiessen Geologen des südafrikanischen Minenunternehmens De Beers gleich auf zwei grosse Diamantenfelder.
Bereits Betschuanaland habe «eine Kultur des Ausgleichs und der Inklusion» gepflegt, sagt Ministerin Kenewendo. Nichts war und ist dabei wichtiger als die Kgotla, jene traditionelle Dorfversammlung, an der jeder teilnehmen und jede reden darf. Es waren Kgotlas, an denen Präsident Khama seinen Leuten erklärte, warum er trotz allem an der Ehe mit einer weissen Frau festhielt; an Kgotlas werden die Differenzen im Dorf geregelt; und auch heute, da im nationalen Parlament entschieden wird, nehmen die Minister regelmässig an Kgotlas in den Dörfern und Kleinstädten teil, um auch die Meinung der Landbevölkerung einzuholen. Diese Landsgemeinde auf Botswanisch ist das Bindeglied zwischen vor- und nachkolonialer Zeit.
Zum Verblüffendsten an diesem afrikanischen Sonderfall gehört, wie Botswana mit der überraschenden Entdeckung seines enormen Reichtums umging. 1967, ein Jahr nach der Staatsgründung, stiessen Geologen des südafrikanischen Minenunternehmens De Beers gleich auf zwei grosse Diamantenfelder: zuerst in Orapa, dann in Jwaneng, dem «Ort der kleinen Steine».Gut 50 Jahre später, an einem heissen Novembermorgen, sind wir unterwegs nach Jwaneng, 120 Kilometer ausserhalb der Hauptstadt Gaborone. Dort, am Rande der Kalahari, steht heute die wertvollste Diamantenmine der Welt, ein gemeinsames Unternehmen von De Beers und dem Staat Botswana unter dem Namen Debswana. Die Mine kündigt sich schon von weitem durch ein abgezirkeltes Gebirge an, das dem Tafelberg in Kapstadt ähnelt – es ist das Aushubmaterial von 36 Jahren Tagbau. Der treppenartige Krater ist mittlerweile 1,8 mal 2,4 Kilometer breit und 430 Meter tief, eine surreal anmutende Szenerie, vor allem wenn sich einer der gelben 300-Tonnen-Lader nähert, neben dem jeder normale Lastwagen aussieht wie ein Spielzeug. 300 000 Tonnen Material werden hier abtransportiert – pro Tag.
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